Journalisten-Umfrage: Wohin geht die Hochschulmedizin?

Um eine Bewertung zur Lage der Hochschulmedizin von au▀en zu erhalten, hat attempto eine kleine Umfrage unter prominenten Medizinjournalisten unternommen. Gefragt wurden diese, wo sie Defizite und Reformbedarf sehen und welche Reformmaßnahmen nach ihrer Ansicht ergriffen werden sollten.

Gero von Boehm,
freier Fernsehproduzent für das öffentlich-rechtliche Fernsehen

Die klinische Forschung kommt in der Bundesrepublik noch immer viel zu kurz. Die Zusammenarbeit zwischen Kliniken und Grundlagenforschung muß dringend auf eine andere organisatorische Basis gestellt werden. Viele klinische Forscher sind reine Feierabendforscher - notgedrungen.

Kommende Strukturen müssen endlich aufgebrochen werden. Dazu gehört auch eine größere finanzielle Transparenz, die zeigt, wohin Gelder fließen. Diese müssen wesentlich gerechter verteilt werden, damit derjenige, der sich um die Forschung kümmert, nicht auch noch bestraft wird. Außerdem müssen neue Motivationen für das Anwerben von Drittmitteln geschaffen werden.

Die Psychosomatik wird in der Ausbildung der Mediziner noch immer nicht genügend beücksichtigt - wider besseres Wissen und gegen den Trend der Zeit. Kein Wunder, daß soviele Patienten den Schulmedizinern davonlaufen. Studiengänge müssen dringend in Richtung Psychosomatik reformiert und überhaupt patientenorientierter werden.

Prof. Dr. Harald Bräutigam,
berichtet über Medizinthemen in der ZEIT

Medizinische Hochschullehrer haben die Humboldt'sche Forderung von der Einnheit von Lehre und Forschung ständig auf den Lippen. Aber hinter vorgehaltener Hand auch den zynischen Satz, daß "wer lehrt nicht geehrt wird". Weder von den Studenten, noch von den Kollegen. Die haben durch die Habilitation den Professorentitel für hervorragende Forschungslestungen erhalten und nicht ihrer didaktischen Fähigkeiten wegen. Lehren haben sie nicht gelernt. Auch Management nicht. Nun wäre es unsinnig, von allen erfahrenen Klinikern vor der Berufung den erfolgreichen Abschluß eines Crash-Kurses in Didaktik und Betriebswirtschaft zu verlangen. Das bringt nichts. Besser am Platz wäre es, in der Lehre geschulte Kliniker neben begabte Forscher zu berufen.

Die Einheit von Forschung und Lehre in einer Person ist eine Fiktion. Das Humbold'sche Ideal sollte die gesamte klinische akademische Einrichtung tragen und nicht einzelne liquiditätsberechtigte Professoren. Dem Anspruch alles in einer Person zu sein, - Arzt, Forscher, Lehrer und Manager - können professorierte Klinikdirektoren nicht einlösen.

Rainer Flöhl,
Leiter der Redaktion Naturwissenschaft und Technik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Die deutsche Hochschulmedizin erfüllt ihre Aufgaben in den beiden entscheidenden Bereichen - Forschung und Lehre - nur unzulänglich. Die Krankenversorgung dominiert. Sie ist qualitativ gut, aber überdimensioniert. Die Lehre leidet zum einen unter den hohen Studentenzahlen, zum anderen an den Unzulänglichkeiten der Approbationsordnung und des akademischen Unterrichts. Die medizinische Forschung ist in den Kliniken unterbewertet, in den theoretischen Fächern quantitativ, aber nicht qualitativ ausreichend, weil häufig die kritischen Massen nicht erreicht werden. Kurz, es fehlt an Professionalität und Management. Junge Wissenschaftler werden verschlissen, sie habilitieren sich zu spät und werden dann praktisch zu Investitionsruinen, weil sie meist als Cheärzte in mittleren Krankenhäusern enden.

Die notwendigen Reformen ergeben sich aus der Schadensbilanz. Verringerung der Bettenzahlen, Bildung von Forschungsschwerpunkten an theoretischen Instituten und einzelnen Kliniken, Stärkung des Departmentsystems (wie im Papier der Kultusminister vorgesehen). Allerdings müssen die Dekane und Leiter der Departments mehr Verantwortung übernehmen, aber auch größere Steuerungsmöglichkeiten erhalten. Die Dekane sollten als Wissenschaftsmanager hauptamtlich auf Zeit berufen werden. Klinische Forschergruppen und interdisziplinäre Schwerpunkte sollten verstärkt gebildet werden. Vergabe von Forschungsmitteln nur über Gutachtergremien. Außerdem sollte eine unabhängige Kommission gegründet werden, die analog dem früheren britischen Medical Research Council die Forschung lose koordiniert, insbesondere darauf achtet, daß wichtige oder neue Gebiete in Deutschland angemessen gefördert werden, Aufgaben, die der Wissenschaftsrat zu spät angeht. Die Habilitation muß abgeschafft werden, dafür sollten junge Forscher mehr Freiraum erhalten und frühzeitig eigenen Ideen nachgehen können. Die Ausbildung der Mediziner muß sich stärker am Kranken orientieren und praxisnäher werden. Für die neue Approbationsordnung gibt es eine Reihe zweckmäßiger Vorschläge, die nicht durch den Egoismus der theoretischen und der großen klinischen Fächer verwässert werden dürfen.

Jürgen Nakott,
Ressortleiter Medizin bei Bild der Wissenschaft:

Defizite und Reformbedarf in der Hochschulmedizin sehe ich besonders im Bereich der Lehre. Die Medizinerausbildung ist in weiten Teilen praxisfern, in den Inhalten teilweise vermufft, fördert unangebrachtes elitäres Denken und hinkt den aktuellen Entwicklungen der Medizintechnik oft weit hinterher. Dafür dauert sie aber zu lange.

Ein Problem der Forschung in der Hochschule besteht sicher darin, daß die Mittel zunehmend als Drittmittel in Kooperation mit Firmen eingeworben werden müssen, was zu Abhängigkeiten führt und zur Ausrichtung der Forschung auf Gebiete, die mehr von wirtschaftlichen Interessen als vom Suchen nach neuem Wissen bestimmt werden.

Als - wenn auch informierter - Journalist Reformen empfehlen zu wollen, überschreitet sicher meine Kompetenz. Dennoch: Es wird Zeit, das Beamtentum der Professoren aufzugeben und auf Zeitverträge umzusteigen. An deren Ende kann eine Leistungsbewertung stehen. Natürlich steigt dann der Druck, vorzeigbare Ergebnisse abzuliefern, und damit vielleicht auch die Versuchung, sich in finanzielle Abhängigkeiten zu begeben. Dem müßte eine neue Form der Finanzierung von staatlicher Seite aus vorbeugen. Der Forscher soll frei sein, zu machen was er will, solange er es gut macht. Weder Beamtenstatus noch interessengesteuertes Arbeiten dient diesem Ziel.

Presse MAIL(michael.seifert@uni-tuebingen.de)

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